Hallo Anita. 1982 wurdest du durch „Die große Chance“, eine Art Talentshow, in Österreich einem breiten Publikum bekannt. Was ist dir aus dieser Zeit noch in Erinnerung geblieben? Was hat dies für deine weitere Karriere gebracht?

Ja, natürlich kann ich mich noch daran erinnern. Ich war damals Sängerin einer Band, die sich unbedingt für „Die große Chance“ bewerben wollte. Es gab, genauso wie heute, im Vorfeld ein Casting. Meine Burschen haben mich gefragt: „Anita, was hältst du davon, wenn wir uns für „Die große Chance“ bewerben?“. Ich war da eher abgeneigt und habe gesagt: „Mein Gott, will ich nicht, denn Fernsehen interessiert mich nicht“. Schließlich haben sie mich doch überredet bekommen. Wir sind dann nach Graz zum Casting ins ORF-Zentrum gefahren. Danach hat es für die Band dann nicht so gut ausgeschaut. Die Jury war der Meinung: „Die Band nehmen wir nicht, aber die Sängerin“. Und so bin ich dann 1982 bei Peter Rapp aufgetreten in „Die große Chance“.

Wie kam es dann dazu, dass du gefragt wurdest „Einfach weg“ in der österreichischen Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest 1984 zu singen? Warst du auf Anhieb von dem Titel begeistert?

Das Produzentenehepaar Gitti und Ernie Seuberth haben dieses Lied für den Song Contest beim ORF eingereicht. Gitti hat es geschrieben, komponiert und getextet, Ernie hat es produziert. Die beiden suchten händeringend nach einer Sängerin und haben sich ordentlich herumgehört, wer denn hierfür geeignet wäre. Dann haben sie über den ORF herausbekommen, dass es 1982 eine Anita gab, die gesungen hat. Und so haben sie mit mir Kontakt aufgenommen. Ich lebte damals in Wien, bin kurz vorher von Graz nach Wien übergesiedelt, bin ins Studio gefahren und habe dieses Leid ein einziges Mal eingesungen. Daraus ist dann die Platte entstanden. Mit dieser einen Aufnahme haben sie sich dann beim Song Contest für die Vorauswahl beworben. „Einfach weg“ hat dann schließlich den ersten Platz gemacht mit ganz großem Punktevorsprung. „Aus 12 mach 1“ hieß die Sendung damals.

Gitti wurde ja damals Zweite, gemeinsam mit Gary Lux und dem Titel „Kumm hoit mi“.

Ja, genau. Die beiden waren eigentlich im Vorfeld favorisiert. Es war jeder total erstaunt, dass ich mit solch enormem Punktevorsprung diese Vorausscheidung gewonnen habe. Und Udo Jürgens hat mir damals das Flugticket nach Luxemburg überreicht. Das war schon ein ganz eigener und besonderer Moment, wirklich toll.

Also war es auch für dich eine sehr große Überraschung, dass du gewonnen hast?

Ja, absolut. Man rechnet ja nicht damit, dass man Erste wird. Man rechnet ja auch nicht damit, dass man Letzter wird. Aber man hofft halt immer, dass man vorne dabei ist. Das war schon ein großartiges Erlebnis für mich.

Wie groß war die Enttäuschung, als du im internationalen Finale Letzte wurdest? Wie war es, im Greenroom zu sitzen und auf die Punkte zu warten, die dann nur sehr spärlich kamen?

Also, im Prinzip bin ich ein sehr bodenständiger Mensch. Jeder Künstler, jeder Sänger ist sensibel, und die erste Zeit hab ich schon mit meinem Schicksal gehadert, das gebe ich zu. Das hat so gar nicht in meine Lebensplanung gepasst, weil ich eigentlich erwartet hatte anschließend als Sängerin richtig Karriere zu machen. Es gab ja auch wirklich damals einen Hype um mich. Man muss sich vorstellen, der Titel war sieben Wochen in den Charts auf Platz 1. Ich habe für damalige Verhältnisse unheimlich viel Platten verkauft und hatte wirklich tolle Auftritte und zahlreiche Interviewanfragen. Und plötzlich war das von einem auf den anderen Tag plötzlich alles weg. Ok, damit habe ich mich letzten Endes abfinden müssen. Ich habe mich dann aber 1991 noch einmal mit einem Song an der österreichischen Vorausscheidung beworben. Da wurde ich von einem Produzenten und Komponisten gefragt, ob ich mich noch einmal bewerben möchte. Ich habe gesagt: „Natürlich, warum nicht“. Der Titel hieß „Land in Sicht“. Ich habe wieder die Vorauswahl so weit überstanden, dass ich mit dem Lied in die Fernsehshow kam. Im Endeffekt habe ich aber nur den siebten Platz gemacht. Gewonnen hat damals Thomas Forstner, der dann mit „Venedig im Regen“ noch weniger Punkte bekommen hat, als ich damals. Nämlich gar keine. Ich war dann anschließend in der internationalen Jury im ORF-Zentrum, wo ich Punkte vergeben durfte.

Gary Lux, der 1983 mit der Gruppe Westend bereits beim Song Contest in München dabei war, hatte dich bei deinem Auftritt 1984 als Chorsänger begleitet. Konnte er dir bei deinem Auftritt helfen? Gab er dir wertvolle Tipps?

Da ich es gewohnt bin auf der Bühne zu stehen, seit ich 16 bin, war das nicht nötig. Ich habe im Laufe meiner Karriere in zahlreichen Bands gesungen. In Rockbands oder auch in ganz normalen Unterhaltungsbands, wo man Tanzmusik macht. In Luxemburg war es im Prinzip ein sehr schönes Miteinander, es herrschte eine gute Stimmung im Team. Ich habe heute noch mit Gary Lux sehr engen Kontakt. Er schreibt mir gerade neue Songs und wir arbeiten gerade ganz aktiv an meinem neuen Album. Denn ich bin als Sängerin gefragt mehr denn je. Es mag zwar ein wenig angeberisch klingen, aber das will ich nicht.

Nein, klingt es gar nicht. Es ist doch sehr schön, dass du so erfolgreich bist.

Ich habe etwa 120 Auftritte pro Jahr. Die Musik ist mein Leben. Es hat sich also alles voll für mich ausgegangen (lacht).

Welche Erinnerungen hast du an Luxemburg? Gab es ein besonderes Erlebnis, an das du dich heute noch gerne zurück erinnerst?

Johnny Logan war damals in Luxemburg mit dabei. Als Komponist von Linda Martins Song „Terminal 3“ wurde er Zweiter. Mit dem war es natürlich „a Hetz“. Party, lustig sein, und auch der Alkohol ist in rauen Mengen geflossen. Ich bin gebürtige Steirerin. Mir zu ehren hat man sogar extra einen Schilcher eingeflogen. Das ist dieser typisch steirische Rosé-Wein. Es gab einen Empfang in der österreichischen Botschaft in Luxemburg. Mit Dirndl-Kleid und mit Schilcher. Sicherlich nicht mit dem zu vergleichen, was heute passiert. Auch wenn ich an die Bühne zurück denke, wie winzig die war. Das war wirklich magerst. Überhaupt nicht mit dem Standard von heute zu vergleichen. Wobei natürlich fraglich ist, ob das sein muss. Im Vordergrund sollte doch der Interpret, und nicht die Bühne stehen. Da ist so viel Technik, Choreographie und Garderobe im Einsatz, wo man sich fragt, wer oder was gewinnt? Aber Conchita hat zu Recht gewonnen. Das kann ich definitiv sagen.

Wobei ich mir sicher bin, dass das Publikum die wahre Kunst erkennt, und sich nicht von Choreographien und Showeffekten blenden lässt. Conchita stand einfach nur da und hatte eine dermaßen starke Ausstrahlung, dass Showeffekte unnötig waren. Sie war einfach grandios und hat gestrahlt.

Wenn man das kann stimmt das absolut. Ich applaudiere ihr immer noch innerlich, weil ich einfach der Meinung bin, dass es das Schwierigste überhaupt ist, steif wie ein Stock auf der Bühne zu stehen und nur mit Mimik und Gestik einen dermaßen starken Auftritt hinzulegen. Natürlich ist es auch unheimlich schwierig vom Atmen her wenn man sich bewegt. Ich kann das als Sängerin beurteilen, wie schwierig es ist einfach nur so dazustehen und solch eine grandiose Performance und solch einen grandiosen Gesang abzuliefern. Wie gesagt, mein innerlicher Applaus ist immer noch da. Einfach großartig.

Warum, glaubst du, kam dein Titel „Einfach weg“ international so schlecht an?

Weiß ich nicht. Ich habe selber damals versucht irgendwelche Antworten zu finden. Ich bin zumindest der Typ, der erst einmal bei sich selber anfängt, und sich fragt: was ist mein Anteil? Die Antwort war: ich habe selber an mir nicht wirklich viel finden können. Ich war ein braves Mädchen im rosa Kleid, das damals mit ein paar Locken auf der Bühne stand. Ich hatte eine sehr unbefriedigende Kameraführung damals, die von unten herauf ging. Zur damaligen Zeit war ich eine unglaublich schlanke und große Person, im Fernsehen habe ich viel kräftiger und pummliger gewirkt. Natürlich war ich auch schüchtern, das geb ich schon zu, aber der Gesang war in Ordnung. Ernst Grissemann, der langjährige Kommentator für den ORF beim Song Contest hat über mich gesagt: „Anita hat ihre Sache gut gemacht, sie kann aufrecht von der Bühne geh’n“. Das war seine Überleitung zu Mary Roos, die direkt nach mir für Deutschland aufgetreten ist. Deutschland und die Schweiz haben in diesem Jahr auch nicht so gut abgeschnitten. Es lag vielleicht auch ein wenig an der Sprache. Es haben einfach mehrere Faktoren zusammen gespielt. Und sind wir ehrlich: Einer ist der Letzte, einer ist der Erste. Das war halt so. Es hat meiner Karriere aber keinen Abbruch getan. Ich bin seit acht Jahren, wie gesagt, wieder sehr aktiv unterwegs. Ich nehme ein neues Album auf, und dass freut mich natürlich.

Was hast du nach dem Song Contest gemacht? Gab es da noch Schallplattenaufnahmen, wie hast du dein Geld verdient?

Ich war noch als Modell aktiv und habe viele Fotos und auch Modenschauen gemacht. Aber das war nie das, was mich wirklich befriedigt hat. Nur quasi schön zu sein. Natürlich war ich damals eine junge Frau, ich hatte eine tolle Figur, war groß und hatte keine Falten wie heute. Als Sängerin gibt man sehr viel von sich selber. Und wenn ich sehe, wieviel das Publikum mir davon zurückgibt, wie toll das ist, war ich damals schon sehr traurig, weil ich musikalisch relativ wenig gemacht habe nach dem Song Contest. Ich habe zwar bis 1990 in Musikstudios gearbeitet, habe auch einige Dinge ausprobiert, gemeinsam mit einer griechischen Produzentin, Despina Glatt. Die war sehr von mir begeistert, von meiner Person und von meiner Stimme. Leider standen, nach dem schlechten Abschneiden in Luxemburg die Plattenfirmen nicht gerade Schlange, die das Vertrauen gehabt hätten zu sagen: „Ja, wir glauben an die Anita, wir machen das“. Es blieb dann eben nur beim Probieren, bis ich dann gesagt habe: „So, jetzt habe ich die Schnauze voll“. So sagen doch die Deutschen? Dann kam 1990 meine Tochter Vanessa auf die Welt, sechs Jahre später mein Sohn Julian. Meine Tochter ist mit mir auf sämtlichen Bühnen unterwegs. Sie hat eine unglaubliche Soul- und Rockstimme, ähnlich wie Amy Winehouse. Sie tritt so ein bisschen in die Fußstapfen der Mama.

Was bedeutet es für dich, gemeinsam mit deiner Tochter auf derselben Bühne zu stehen, und zu sehen, dass dein Kind die gleiche Leidenschaft teilt wie du?

Im Prinzip würde man vermuten, Mutter und Tochter sind wie Hund und Katze. Bei uns ist das nicht so. Sie ist jemand, der unglaublich professionell ist. Ich habe auch meine eigene Band „Anita &Friends“, und trete auch in größeren Formationen auf. Ich bin quasi der Boss, sage was zu tun ist und welches Programm gemacht wird. Meine Tochter fügt sich in so idealer Weise, sagt dann aber auch: „Mama, das ist ok, aber könnten wir nicht…“. Wir stehen immer in Dialog, ohne dass wir streiten. Ich glaube, das gibt es in Österreich nur noch einmal. In der Steiermark, im volkstümlichen Bereich. Aber sonst dürfte das ziemlich einzigartig sein. Es ist ein großartiges Gefühl gemeinsam mit seiner Tochter auf der gleichen Bühne zu stehen.

Wie kam es 1991 zum Comeback mit „Land in Sicht“, dass du dich doch wieder entschieden hast auf die Bühne zurück zu kehren? Wurdest du dazu überredet, nachdem du dich schon ins Familienleben zurückgezogen hattest an der österreichischen Vorentscheidung teilzunehmen?

Bernd Stromberger, der den Titel „Land in Sicht“ damals geschrieben hat, bot mir den Titel an. Ich habe ja immer nach Textern und Komponisten mit passenden Liedern gesucht, da ich selber keine eigenen Sachen schreibe. Er bot mir dieses Lied an, wir haben es eingesungen, und Bernd hat mich damals gefragt: „Sollen wir uns damit bewerben? Die österreichische Ausscheidung steht wieder an.“ Und ich habe gesagt: „Sicher, warum nicht.“ Und wie gesagt, der Titel kam wieder in die Fernsehshow, aber dann gab es leider nur Platz 7.

Wie sieht dein Leben heute aus? Du hast dich ja zur Rechtsanwaltsgehilfin ausbilden lassen. Ist das noch aktuell, oder lebst du ausschließlich von der Musik?

Ich lebe nach wie vor mit meinem Mann. Wir sind nun schon seit 33 Jahren zusammen, was in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht immer so einfach nur von der Musik zu leben. Aber er stand immer hinter mir, so dass wir ein ganz normales Familienleben haben. Wir haben ein großes Haus im Südburgenland, meine Kinder fahren Motocross, sind also auch sehr sportlich engagiert. Wir sind eigentlich ein kleines Familienunternehmen. Mein Leben sieht so aus, dass ich zu etwa 80% mein Einkommen durch die Musik beziehe. Ich könnte auch davon leben. Da ich, wie bereits erwähnt, ein sehr bodenständiger Mensch bin, wollte ich nie alleine von der Musik leben. Dies ist doch eine sehr unstete Branche, die mir auch emotional immer wieder zusetzt. Im Prinzip ist man da ein einsamer Wolf. Wenn ich auf der Bühne stehe, werde ich natürlich schon beachtet, teilweise auch angehimmelt. Manchmal aber auch nicht. Ich habe viel Engagements, beispielsweise in Wellnesshotels, wo ich dann nur ein „Nebenprodukt“ bin. Da habe ich viel Applaus, dann und wann aber auch mal nicht. Das sind alles Dinge, die man erst einmal verkraften muss. Weil ich auch kaum eigene Songs habe. Aber das wird hoffentlich mit dem neuen Album anders werden. Mir war es immer wichtig, neben der Gesangskarriere, einen normalen, herkömmlichen Beruf zu haben. Daher arbeite ich auch im Südburgenland bei einem Steuerberater. Zwar nur 15 Stunden die Woche, aber ich gehöre zu einem Team. Ich muss früh aufstehen, bin aber in einem Strukturbereich, der mir immer wieder Halt gibt und wo ich mich selber auch ein bisschen erde. Das ist mir sehr wichtig. Zu einem Team zu gehören, Kollegen zu haben, mit denen ich mich auseinander setzen muss. Da ist nicht immer alles nur schön. Das war mir immer wichtig. Deshalb mache ich es bis heute. Ich muss ja auch noch an die Pension denken. Du weißt, Song Contest 1984, da kann ich keine 30 mehr sein (lacht). Die Rente klopft langsam an…

Würdest du es noch einmal beim Eurovision Song Contest versuchen? Könnte man dich dazu überreden?

Würde ich schon ohne weiteres tun, warum nicht. Ist ein tolles Spektakel. Und dass man nicht nur Freunde und Befürworter hat ist klar. Damals hatte ich den Eindruck, dass es in der Musikbranche ein bisschen out ist beim Song Contest mitzumachen. Mir fiel aber auf, dass die Leute, die die Chance hatten an dieser Veranstaltung teilzunehmen, dann auch nicht nein gesagt haben, als das Angebot kam. Man muss nicht päpstlicher sein als der Papst. Es ist eine Riesenplattform. Wo kann man schon vor so vielen Menschen auftreten? Und man hat in dieser Zeit natürlich eine unglaubliche Aufmerksamkeit, die man sonst nicht hat. Es wissen ja nicht so Viele, dass die liebe Anita Wagner eine Band hat und 120 Mal im Jahr auftritt. Also warum sollte man das nicht machen, ist doch die beste Werbung.

Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit dem kommenden Album.